Freie Wähler besuchen die ehemalige jüdische Synagoge in Freudental

Freie Wähler Marbach besuchen die ehemalige jüdische Synagoge in Freudental

 

Einer herzlichen Einladung von Altbürgermeister Herbert Pötzsch folgend, traf sich eine Gruppe Freier Wähler im beschaulichen Strombergörtchen Freudental, um die jüdische Synagoge und das dort ansässige „Pädagogisch-Kulturelle Zentrum ehemalige jüdische Synagoge“ (PKZ) zu besichtigen. Herr Pötzsch wurde zunächst vom Kreistag als FW-Abgeordneter ins Kuratorium des PKZ entsendet und entwickelte dort später viele Jahre lang als Vorsitzender einfühlsam die Geschicke des Vereins.

Empfangen und aufs herzlichste begrüßt wurden die Marbacher von Michael Volz, dem Leiter für Pädagogik und Kultur, der dann im Folgenden auch die Führung durch Friedhof und Synagoge lebendig und sehr lehrreich gestaltete. Etwa einen Kilometer außerhalb des „Fleckens“, idyllisch am Waldrand gelegen, befindet sich der jüdische Friedhof, von einer Steinmauer umrahmt. Hier erhielten die Teilnehmer der Führung Steinchen, die sie auf einem Grabstein ihrer Wahl ablegen sollten. Diese kleine Geste sei jüdische Tradition, erklärte Volz, und symbolisiere u.a. stilles Gedenken an die Verstorbenen. 436 Gräber entdeckt man, ausgerichtet gen Jerusalem und mit Grabsteinen versehen, die entweder aus Sandstein oder Granit gefertigt wurden und wunderschöne jüdische Symbole wie die Segenshände, eine Kanne, ein Messer, ein Widderhorn oder eine Sonne tragen. Die älteren Sandsteingrabsteine sind auf der Vorderseite in hebräischer Schrift, auf der Rückseite in deutscher Schrift behauen. Je jünger die Gräber sind, desto weniger hebräische Inschriften findet man. Schließlich sind die kurzen Texte auf den Steinen nur noch auf Deutsch gehalten. Angeordnet sind die Gräber der Verstorbenen auf dem Friedhof entsprechend der hebräischen Schreibweise von rechts nach links und in Reihen nach Geschlechtern getrennt. Die verstorbenen Kinder wurden in einem separaten Areal zur Ruhe gebettet, weiß Michael Volz. Auffällig ist eine große, grasbedeckte Freifläche, die eigentlich den damals noch in Freudental ansässigen Juden vorbehalten war. Aufgrund von Auswanderung in letzter Minute und/oder Ermordung der jüdischen, Freudentaler Bürger in Vernichtungslagern blieb diese Fläche ungenützt und dient nun als stilles Mahnmal. Kurz inne hielt Herr Volz vor dem Grabmal von Julius Marx, einem Kaufmann und Schriftsteller, der auf eigenen Wunsch nach langem Exil in der Schweiz 1970 hier in seiner Heimaterde begraben wurde. Volz rezitierte mit gedeckter Stimme ein Gedicht von Marx „ Mein kleines Dorf“, das den Freien Wählern tief unter die Haut ging und fast zu Tränen rührte. Nach diesen Eindrücken ging es zurück in Richtung Dorf, vorbei am „Garten der Erinnerung“, der von Nachfahren gerne besucht und durch bürgerschaftliches Engagement gepflegt wird. In den neu gestalteten Räumen des PKZ berichtete Herr Volz anhand vieler kleiner Anekdoten von der Reichhaltigkeit jüdischen Lebens im kleinen Freudental. 1723 durften sich erstmals sechs jüdische Familien im Dorf niederlassen. 1771 erhielten die ansässigen Juden mit der Fertigstellung der Synagoge die Möglichkeit, ihren Glauben in einem Gotteshaus zu leben. 1838 wohnten im Kleinstädtchen schon 354 Juden, was fast der Hälfte (44 %) der damaligen Dorfbevölkerung entsprach. Trotz der Abgeschiedenheit Freudentals hatte sich die Gemeinde damals zu einem jüdischen Zentrum des württembergischen Unterlandes entwickelt. Im 19. Jahrhundert setzte dann eine Abwanderungsbewegung ein, so das 1933 nur noch 50 jüdische Bürger in Freudental ihr Zuhause hatten. Der letzte jüdische Lehrer im Dorf, Simon Meissner, sah die Katastrophe kommen und sammelte Geld, um den verbliebenen Familien die Ausreise in ferne Länder zu ermöglichen. Letztlich blieben nur ältere Menschen zurück, die erst in einem Altenheim wohnten und dann von den Nazis deportiert wurden. Am 10. November, der Reichspogromnacht, wurde die jüdische Synagoge verwüstet, das Mobiliar zerstört, die Kultgegenstände geschändet und anschließend auf dem Sportplatz verbrannt. Da die Synagoge in der Dorfmitte stand, rechts und links von „Arierhäusern“ gesäumt, entging die Synagoge der Zerstörung durch Feuer. Das Gebäude wurde in Folge entweiht, von wechselnden Besitzern als Turnhalle, Lagerraum und Werkstatt genutzt, bis es dann 1979 nur knapp dem Abriss entging. 1981 konnte die Synagoge mit öffentlicher Unterstützung restauriert werden.

Seit 1985 befindet sich dort der Sitz des Pädagogisch Kulturellen Zentrums, einem eingetragenen Verein mit etwa 300 Mitgliedern, der seither unter Leitung von Michael Volz zukunftsorientierte Bildungs- und Kulturarbeit leistet. Der Verein nutzt die Räumlichkeiten der Synagoge als eine lebendige Stätte der Auseinandersetzung mit der Historie, mit anderen Kulturen, mit der Demokratie. Alle Beteiligten treten aktiv für Toleranz und Menschenrechte ein, halten die Erinnerung an die Geschehnisse in Deutschland wach und festigen und stärken demokratische Werte, bekräftigte Michael Volz. Konzerte, Vorträge von Zeitzeugen, Kleinkunst, Lesungen, Kunstausstellungen werden angeboten, nationale und internationale Begegnungen gepflegt. Lernen über Empathie und Emotion hat sich das PKZ auf die Fahnen geschrieben, so bietet die Initiative ihren 9 Partnerschulen die Möglichkeit, anhand von Rollenspielen, Theaterspaziergängen, Schreibwerkstätten sich in die damalige Zeit hineinzudenken.

Abschließend durften die FW die Synagoge selbst besichtigen. Ein großer, fast schmuckloser, in weiß gehaltener Saal mit Stuckdecke und einer kleinen Aussparung in der Wand, in der sich einst die heiligen Schriften, die Tora, befand. Davor stehen eine kleine Bühne und ein Harmonium. Dieser Raum diente Männern und Kindern als Versammlungsort und Stätte der Andacht und des Gebets. Auf der sogenannten Frauenempore (Frauen mussten separat sitzen!) wurde ein kleines, aber feines Museum eingerichtet, das Alltagsgegenstände, wie Bücher und Schriften, Gebetsschals bruchstückhaft und fragmentarisch präsentiert. Stumme Zeitzeugen der willkürlichen Zerstörungswut im Nazireich. Anhand dieser teils sehr demolierten Gegenstände empfindet man ganz unmittelbar die Auswirkungen entfesselter Gewalt und menschlicher Ohnmacht.

 

Termine