Haushaltsrede 2023

Sehr geehrter Herr Bürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren,
für das zurückliegenden Jahr wurden 2 neue Begriffe erfunden, die unsere Zeit
durchaus treffend beschreiben: Zeitenwende und Multikrise.
Viele von uns können sich noch gut an das Lebensgefühl des Kalten Krieges
erinnern: Das Gefühl der Bedrohung durch Atomwaffen gehörte zum Alltag.
Ebenso wie Tiefflieger und die Sirenenklänge von ABCProbealarmen. Dann
kam es 1989 zu dem Wunder der Wiedervereinigung, das wir häufig auch
einfach mit Wende benennen. Der Wettbewerb der Systeme schien beendet.
Die Bundeswehr konnte verkleinert werden, sämtliche Lebensrisiken schienen
minimierbar. Selbst die Atombedrohung fühlte sich wie beseitigt an, nachdem
die Abschaltung des letzten AKW auf deutschem Boden gesetzlich verankert
war. Diese Phase politischer und wirtschaftlicher Stabilität führte zu einer
Friedensdividende, die uns allen steigenden Wohlstand bescherte. An diesen
haben wir uns gut gewöhnt, und auch die Attraktivität von Deutschland für
Einwanderer aller Art wird nach wie vor zu einem großen Teil von der Aussicht
auf diesen Wohlstand gespeist.
Nun scheint diese Friedensdividende auf absehbare Zeit auszubleiben. Von den
Altvorderen habe ich zu diesem Thema noch eine Weisheit im Ohr: Sie sagten:
„Jeder Krieg wird mit einer Inflation bezahlt“. Ich sehe keine Anzeichen, dass
diese Regel nicht mehr gelten würde. Dies ist der wahre Grund für den
derzeitigen Reallohnverlust für die große Mehrheit der Bevölkerung. Man hat
den Eindruck, dass die Verteilungskämpfe bei den Lohnrunden härter werden.
Wenn es insgesamt weniger wird, dann gibt es auch weniger zu verteilen. Je
mehr der Staat versucht, die Löcher auf Pump zu stopfen, desto länger wird die
Phase mit einer hohen Inflation andauern. Leider liegen die Ursachen und
Lösungsmöglichkeiten für diesen Krieg weitgehendst nicht in der Hand von
Deutschland. Dennoch können wir uns diesen Ereignissen nicht entziehen.
In diesem Zusammenhang gilt es hervorzuheben, dass Stadtverwaltung und
Bürger von Marbach sich den Folgen des Kriegs in der Ukraine gestellt haben,
und zwar in Form der Aufnahme von 300 Flüchtlingen, was fast 2 % unserer
Bevölkerung entspricht. Damit liegen wir deutlich über dem deutschen
Durchschnittswert von ca. 1,3 %. Neben Geld kostet dies auch viel Kraft von
den städtischen Mitarbeitern. Aber es ist etwas, das wir hier vor Ort beitragen
können und wofür wir Freien Wähler an dieser Stelle allen Beteiligten für das
Geleistete unseren Dank aussprechen!
Als ob diese Krise nicht genug wäre, kommen jetzt noch

die Spätfolgen der Coronakrise,
die Flüchtlingskrise,
die Energiekrise,
die Klimakrise,
die Wohnungsknappheit und auch unser hausgemachtes
Demographie und damit Generationenproblem hinzu.
Alle genannten Elemente dieser Multikrise beschäftigen die Kommunen und
spiegeln sich daher auch im vorliegenden Haushalt wider. Um den
Zusammenhalt der Gesellschaft zu erhalten ist es wichtig, alle Themen
gleichzeitig anzugehen. Leider führt das bei endlichen Finanzen zu dem
unbefriedigenden Ergebnis, dass keine der Krisen grundlegend bearbeitet und
gelöst werden kann. Dennoch obliegt es der Politik und damit auch diesem
Gemeinderat, zwischen den konkurrierenden Zielen auszubalancieren und
Kompromisse zu finden.
Der Haushalt ist diesmal in grau eingebunden. Nur das 300jährige Jubiläum
von Tobias Mayer als Titelbild ist ein Lichtblick in dem ansonsten eher tristen
Werk. Zum 3. Mal in Folge legen wir einen eigentlich nach dem NKHR (Neues
Kommunales Haushalts und Rechnungswesen) nicht genehmigungsfähigen
Haushaltsplan vor. Wir können nur hoffen, dass er wie in den Vorjahren von
der Kommunalaufsicht trotzdem durchgewunken wird. Gleich auf Seite 3 wird
als Anspruch des NeuenKommunalenHaushaltsRechts die
Generationengerechtigkeit genannt: „Jede Periode muss das erwirtschaften,
was sie verbraucht“. Diesem so hehren wie selbstverständlichen Ziel wird
dieser Haushalt einmal mehr nicht gerecht! Das lässt sich an wenigen Zahlen
ablesen: Unser Ergebnishaushalt weist auch nach der Sparrunde immer noch
2,7 Mio auf, was 5% unseres Haushaltsvolumens entspricht. Die letzten Jahre
haben alle etwas besser als der Plan abgeschnitten. Dies rührte hauptsächlich
daher, dass die Kämmerei noch keine Ersparnisse durch Vakanzen beim
Personal oder Nachzahlungen bei der Gewerbesteuer berücksichtigt hatte. In
diesem Jahr sind diese Reserven in der Größenordnung von 3 Mio schon
einkalkuliert und eine entsprechende Verbesserung wird damit sehr
unwahrscheinlich.
Unser Finanzhaushalt weist eine Neuverschuldung von 9,5 Mio und damit
zum Jahresende eine Gesamtverschuldung von fast 28 Mio aus. Dies
entspricht mehr als der Hälfte unseres Haushaltsvolumens. Unser
mittelfristiger Finanzplan sieht bis Ende 2026 sogar eine Verschuldung von
mehr als 39 Mio vor, was dann bereits ¾ unseres Haushaltsvolumens ist.

Wie überzogen unsere Investitionspläne von netto 18 Mio sind zeigt sich auch in
deren Verhältnis zu den Abschreibungen. Nach dem NKHR liegen diese nämlich
bei 3,6 Mio €. Perspektivisch sollen sie bis 2026 auf 4,7 Mio ansteigen. In
einem stabilen Umfeld, wie es unsere Stadt mit ihrer annähernd konstanten
Bevölkerung darstellt, sollten die Reinvestitionen eigentlich in Höhe der
Abschreibungen zuzüglich Inflationsausgleich liegen.
Das wären also statt unserer 18 vielleicht so um die 6 Mio €. Da liegen wir aber
beim Dreifachen!
Ausgeglichener stellt sich die Situation in unseren Stadtwerken und in der
Abwasserentsorgung dar. Dort sind die Kreditlaufzeiten gut an die
Abschreibungsdauer der Investitionen angepasst, so dass Zins und Tilgung recht
stabil sind. Auch die Aufgabenstellung und die Refinanzierung ist in diesem
Bereich viel eindeutiger definiert, weshalb die Ausgliederung als Eigenbetrieb
im Sinne der Transparenz sinnvoll ist.
Greifbarer als die kalkulatorische Größe „Abschreibungen“ sind die
zahlungswirksamen Zinsen und Tilgungen, die sich aus den Schulden zukünftig
ergeben. Bis Mitte 2022 waren die Zinsen sehr niedrig, aber in den letzten 8
Monaten sind sie um 2,5 % angezogen. Es gibt derzeit keine Signale, dass dies
das Ende der Fahnenstange wäre. Diese Erhöhung werden wir doppelt zu
spüren bekommen: Zum einen für die Neuverschuldung und zum anderen auch
für anstehende Umschuldungen aus der Niedrigzinsphase.
Aus diesem Grund haben wir einen Haushaltsantrag eingebracht, in welchem
wir einen Ansatz zu mehr Transparenz für die Auswirkungen der aktuellen
Schuldenpolitik vorgeschlagen haben. Den Einschränkungen, die wir
zukünftigen Marbacher Gemeinderäten aufladen, sollten wir ins Auge sehen
und nichts vertuschen. Das macht auch jeder Häuslesbauer, der sich gut
überlegt, welchen Schuldendienst er sich zutraut und zu welchem Verzicht er in
absehbarer Zukunft bereit ist.
Insgesamt gesehen sind die Annahmen im vorgelegten Haushalt stimmig und
entsprechen der Diskussionslage in diesem Gemeinderat. Auch in diesem
Haushalt sind wieder um 9% gestiegene Personalkosten angesetzt. Mit 10
zusätzlichen Stellen steigt die Anzahl der Beschäftigten um 5 %. Marbach ist
mit dieser Entwicklung nicht alleine. Deutschlandweit stieg der Anteil der im
öffentlichen Dienstleistungssektor Beschäftigten in den letzten 30 Jahren von
20,8 % auf 26%. Diese Entwicklung sehen wir Freien Wähler durchaus kritisch,
denn nicht hoheitliche Aufgaben erledigt die freie Marktwirtschaft effizienter

als die öffentliche Hand. Jemand muss auch die Steuern erwirtschaften, um das
gesamte System am Laufen zu halten. Deshalb haben wir in der Vergangenheit
schon mehrfach neuen Stellen die Zustimmung verweigert und werden dies
auch in Zukunft tun. Insbesondere wenn es sich um Freiwilligkeitsleistungen
handelt.
In diesem Zusammenhang haben wir noch ein Gefühl, das wir im Moment
nicht prüfen können, zu dem wir daher gerne mehr Informationen von der
Verwaltung hätten: Obwohl immer mehr Stellen geschaffen werden, haben wir
den Eindruck, dass die Stadt neben dem eigenen Personal immer mehr
Gutachter und ähnliche Dienstleister engagiert. Rein formal sind das häufig
Vorgänge, die vom Betrag her in den Entscheidungsrahmen der Verwaltung
fallen. Der Volksmund sagt: „Viel Kleinvieh macht auch Mist“. Daher haben wir
einen Antrag für mehr Transparenz in dieser Hinsicht gestellt, die unser
Haushalt trotz all seiner Ausführlichkeit nicht ansatzweise bietet.
In diesem Zusammenhang bewerten wir auch das geplante Nahwärmenetz im
Keltergrund kritisch. Nur mit erheblichen Subventionen von dritter Seite kann
bei diesem aufwendigen Ansatz die Wirtschaftlichkeit erreicht werden.
Energetisch betrachtet könnte genauso gut jeder einzelne Häuslesbauer mit
einer eigenen LuftWärmepumpe dasselbe Level an Nachhaltigkeit erreichen.
Dies dann jedoch mit weniger Subventionen und damit zu niedrigeren
volkswirtschaftlichen Kosten. Die entsprechend verschärften Bauvorschriften
hat der Gesetzgeber bereits in der Pipeline. Für einen Einstieg der Stadt als
Betreiberin eines Nahwärmenetzes sind wir daher nicht zu haben. Das kann die
freie Wirtschaft oder auch jeder für sich selbst besser.
Die angespannte finanzielle Situation wird bei weitem nicht nur von der
Verwaltung oder diesem Gemeinderat verursacht. Jede Menge gesetzliche
Regelungen von Bund und Land beeinflussen diesen Haushalt unmittelbar,
aber die zugehörigen finanziellen Zuwendungen sind meistens nicht
ausreichend. Am deutlichsten wird dies in der Kinderbetreuung. Diese
bundesgesetzliche Regelung verursacht jährliche Kosten von inzwischen über

12 Mio €, aber nur 3 Mio hiervon kommen vom Land und 1 Mio sind
Elternbeiträge. Das verbleibende Defizit beträgt 8 Mio €. Als Gedankenspiel
könnten wir uns vorstellen, dass es diese Kosten nicht gäbe, und unser
Haushalt wäre inklusive aller Investitionen sofort deutlich im grünen Bereich.
Aber das wird wohl auf absehbare Zeit ein Gedankenspiel bleiben.
Umgekehrt ist damit aber absehbar, wie sich Handlungsspielräume für
Investitionen und Freiwilligkeitsleistungen aller Art jenseits von 2026
verringern werden. Wir werden mittelfristig geliebte Gewohnheiten und
Besitzstände neu diskutieren müssen. Seit 5 Jahren investiert Marbach nun
deutlich über seine Verhältnisse und dies soll für mindestens 3 Jahre so
weitergehen. Wir werden dem Haushalt der Stadt sowie der Stadtwerke
zustimmen, aber ein kritischer Begleiter aller freiwilligen Ausgaben und neuen
Investitionsprojekte sein. Wir werden in nächster Zeit vermehrt Ausgaben für
Wünschenswertes ablehnen im Interesse der finanziellen Handlungsfähigkeit
des nächsten und übernächsten Gemeinderats.


Dr. Martin Mistele, Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler Marbach am
Neckar
Vorgetragen im Marbacher Gemeinderat am 30.3.23

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