Haushaltsrede 2022

Haushaltsrede von Dr. Martin Mistele

Sehr geehrter Herr Bürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren,
Letztes Jahr war noch Corona unser größtes Problem, und aus heutiger Sicht erscheint es geradezu klein. Im letzten Jahr waren die Konfliktherde eher schwelend, und jetzt ist das Feuer in Form einer militärischen Aggression wieder ausgebrochen. So wie es aussieht möchte Herr Putin das russische Großreich wieder errichten. Da drängen sich uns Deutschen die Parallelen zu der Zeit auf, als eine deutsche Regierung ein Großes Reich errichten wollte. Jegliche Menschlichkeit blieb da auf der Strecke, und wir sind aktuell nicht mehr weit davon entfernt. Auch in den 40er Jahren war es nicht sicher, ob die Weltgemeinschaft in der Lage sein würde, diese Pläne zu stoppen. Genauso wie wir heute nicht sicher sind, wie und wo die Machtgelüste von Russland – oder vielleicht genauer die von Herrn Putin – gestoppt werden können.
Als der Konflikt in Syrien akut war, haben Nachbarländer wie Libanon, Jordanien und auch die Türkei die Hauptlast der Flüchtlingsbewegung getragen. Diesmal sind wir näher dran und werden voraussichtlich mehr gefordert sein als in 2015. Ich nehme aber auch positiv wahr, dass von Seiten unserer Regierung und auch der Bevölkerung eine große Solidarität und Hilfsbereitschaft gezeigt wird. Aufgrund von vielen persönlichen Beziehungen zwischen den Ländern läuft vieles bereits auf informellen Wegen, noch bevor die großen staatlichen Mechanismen in Gang kommen. Das ist auch gut so, denn der Staat und auch eine Kommune können nicht alles besser als eine große Zahl engagierter Bürgerinnen und Bürger.
Aber wir wollen ja jetzt über unseren Haushalt reden. Hier änderte sich das Umfeld schon im Laufe des letzten Jahres langsam. Seit diesem Jahr jedoch mit zunehmender Geschwindigkeit: Die Zeit der niedrigen Zinsen neigt sich wohl ihrem Ende zu, und die Inflation zieht kräftig an. Insbesondere bei Produkten, die jedermann unabdingbar benötigt, wie z.B. Energie und Lebensmittel. Dies wird durch die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Kornkammer der Welt noch richtig Fahrt aufnehmen. Welche Kettenreaktionen da noch auf uns zukommen ist nicht absehbar.
Zu den genannten Themen Energie und Lebensmittel gibt es auch einen kommunalen Bezug. Wir bekommen jetzt vor Augen geführt, wie wichtig alle unsere Anstrengungen sind, unseren hohen fossilen Energiebedarf zu verringern. Und dass neben den ökologischen Bedürfnissen auch eine regionale Versorgung mit landwirtschaftlichen Produkten ihren Wert hat.

Doch nun zu unserem Haushalt. Zum 2. Mal in Folge legen wir einen eigentlich nach dem „Neuen Kommunalen Haushalts Recht“ nicht genehmigungsfähigen Haushaltsplan vor. Wir können nur hoffen, dass er wie im Vorjahr von der Kommunalaufsicht trotzdem durchgewunken wird. Dabei sind die Kriegsfolgen aller Art noch gar nicht einkalkuliert. Unter den Vorbemerkungen auf Seite 3 dieses dicken Buches wird als Anspruch des NHKR Generationengerechtigkeit genannt: „Jede Periode muss das erwirtschaften, was sie verbraucht“. Diesem so hehren wie selbstverständlichen Ziel, das wir alle im Privaten Monat für Monat erleben, wird dieser Haushalt nicht gerecht! Das lässt sich an wenigen Zahlen ablesen: Unser Ergebnishaushalt weist nach gewissen Sparanstrengungen immer noch –2,4 Mio € auf (- was 5% unseres Haushaltsvolumens entspricht). Mit etwas Glück in Form von Vakanzen beim Personal oder Nachzahlungen bei der Gewerbesteuer könnte dieser Betrag wie in den Vorjahren auch nahe einer Null enden.
Unser Finanzhaushalt weist eine Neuverschuldung von -7,8 Mio € und damit zum Jahresende eine Gesamtverschuldung von -23 Mio € aus, was knapp der Hälfte unseres Haushaltsvolumens entspricht. Hier könnte es ebenfalls passieren, dass sich Bauprojekte verzögern und die Neuverschuldung sich verringert. Allerdings sieht unser mittelfristiger Finanzplan bis Ende 2025 eine Verschuldung von -38 Mio € vor, was dann bereits 3⁄4 unseres Haushaltsvolumens entspricht. Tröstlich ist hier allenfalls, dass im letzten Haushalt die Hochrechnung des Schuldenstands am Ende des Planungszeitraums noch bei -52 Mio € lag. Damit liegt Marbach deutlich über dem Durchschnitt der Kommunen Baden-Württembergs. Wie überzogen unsere Investitionspläne von netto 14 Mio € sind, zeigt sich auch in deren Verhältnis zu den Abschreibungen. Nach dem NKHR liegen diese nämlich bei 3,5 Mio € und sollen perspektivisch bis 2025 auf 4,4 Mio € ansteigen. In einem stabilen Umfeld wie es Marbach mit seiner annähernd konstanten Bevölkerung darstellt, sollten die Reinvestitionen eigentlich in Höhe der Abschreibungen zuzüglich Inflationsausgleich liegen. Das wären also statt unserer 14 vielleicht so um die 6 Mio €, und da liegen wir weit darüber. Greifbarer als die Abschreibungen sind die Zinsen und Tilgungen, die sich aus den Schulden ergeben. Noch sind die Zinsen sehr niedrig, weshalb wir diese Last erst bei einer Umschuldung in ca. 10 Jahren spüren werden. Bei der Tilgung lügen wir uns dagegen schon in diesem Haushalt etwas in die Tasche. Denn die geplanten Schulden verdoppeln sich von 2021 bis 2023, aber die Tilgung von 1,5 Mio € steigt nur um jährlich 7% und von 2023-2025 gar nicht

mehr. Letzteres ist der einzige Punkt, wo wir der Meinung sind, dass unser Haushalt einen handwerklichen Fehler enthält. Ansonsten sind die Annahmen stimmig und entsprechen der Diskussionslage in diesem Gemeinderat. Auf Details möchten wir daher an dieser Stelle verzichten. Aber es bleibt festzuhalten, dass unsere Stadt – und damit dieser Gemeinderat – derzeit über seine Verhältnisse lebt. Es ist schon jetzt absehbar, wie sich Handlungsspielräume für Investitionen und Freiwilligkeitsleistungen aller Art jenseits von 2025 verringern werden.
Ein Haushaltsantrag mit neuen Ausgabewünschen an die Stadt kommt daher von den Freien Wählern nicht, aber wir sind der SPD für ihren Vorstoß dankbar, die Reserven in unserem Schulbudget abzuschmelzen. Wir erwarten dafür keinen Beifall von den Schulen, aber es ist ein Vorbote, dass mittelfristig auch an anderen Stellen geliebte Gewohnheiten und Besitzstände neu diskutiert werden müssen.
Eines der Zukunftsthemen ist die Digitalisierung. Hier kommen wir in der Ausstattung der Schulen dank Digitalpakt voran, und auch bei Glasfaser tut sich dank der Gigabit-Initiative der Region etwas. Womit wir Freien Wähler jedoch nicht zufrieden sind ist das Ergebnis unseres Antrags zur Entwicklung einer Marbach-App aus dem Jahr 2019. Hier könnten und sollten wir als Stadt unseren Bürgern mehr Service und Vernetzungsmöglichkeit bieten. Bei der Programmierung kommt man mit 100.000 € viel weiter als bei Gebäuden oder Straßen.
Und noch ein Thema der Zukunft ist die sogenannte Wohnungsnot. Warum „sogenannt“? Da die Einwohnerzahl von Marbach ungefähr wie die von Deutschland konstant blieb, müsste mathematisch betrachtet der Wohnraum eigentlich ausreichen. Wer jedoch selbst eine Wohnung sucht, der merkt schnell, dass der Markt leergefegt ist und Vermieter bzw. Verkäufer von Wohnraum fast alles verlangen können. Eine Enteignung, wie sie in Berlin bei den großen Wohnungsgesellschaften versucht wird, würde an den Festen unseres gesamten Wirtschaftssystems rütteln und unabsehbare Folgen haben. Daher sehen wir Freien Wähler außer in der Nachverdichtung auch in der Ausweisung von Neubauflächen eine Möglichkeit, diese Situation zu verbessern – auch wenn das nicht exklusiv Marbachern zu Gute kommen wird. Für Investitionen der Stadt in preiswertes Wohnen sehen wir keinen Spielraum mehr, selbst wenn das Land wie in der Vergangenheit großzügige Förderungen in Aussicht stellt.

Ein anderes Zukunftsthema ist zweifellos die nachhaltige Energieversorgung. Hier kann und muss die Stadt einen Betrag leisten, z.B. in dem sie Wärmenetze organisiert. Andererseits muss die Stadt auch in diesem Bereich wirtschaften. Sie kann allenfalls als Katalysator wirken, und nicht als Finanzier! Nach den neuen Nachhaltigkeitszielen der Bundesregierung und der EU besteht bei über 90 % aller Gebäude erheblicher energetischer Sanierungsbedarf. Aufgrund der aktuellen Preissteigerungen für Energie wird dies eine neue eigenwirtschaftlich motivierte Dynamik entfalten. Als Stadt können wir unseren Bürger diese Belastungen nicht ersparen. Wir können ihnen höchstens in gewissem Umfang eine Beratung anbieten und für Investoren in neue Technologien die rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen. So wie wir es bereits beim Nahwärmenetz in der Kernstadt gemacht haben.
Seit 4 Jahren investiert Marbach nun schon deutlich über seine Verhältnisse, und dies soll für mindestens 3 Jahre so weitergehen. Wir werden dem Haushalt der Stadt sowie der Stadtwerke gerade nochmal so zustimmen. Wir werden aber ab in Zukunft – noch mehr als in der Vergangenheit – ein kritischer Begleiter aller freiwilligen Ausgaben und neuen Investitionsprojekte sein. Wir werden in nächster Zeit vermehrt Ausgaben für Wünschenswertes ablehnen – im Interesse der finanziellen Handlungsfähigkeit des nächsten und übernächsten Gemeinderats.

Dr. Martin Mistele, Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler Marbach am Neckar
Vorgetragen im Marbacher Gemeinderat am 17.3.22

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