Haushaltsrede 2020

Nachfolgend die Haushaltsrede von unserem Dr. Martin Mistele

 

Diese Haushaltsrede wurde im Februar verfasst und sollte am 18.3.2020 im Gemeinderat der Stadt Marbach vorgetragen werden. Angesichts der CORONA-Krise fiel diese Sitzung aus und der Haushalt soll in einer Sondersitzung am 2.4. verabschiedet werden. Welche Auswirkungen diese Krise auf die Volksgesundheit, die Staatsfinanzen und unsere Kultur im Allgemeinen haben wird ist derzeit noch nicht absehbar, aber sie werden erheblich sein.

Sehr geehrter Herr Bürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren,

Der Glücksindex in Deutschland ist angeblich auf einem Höchststand. Den allermeisten geht es gut, und trotzdem kann man sich jede Menge Sorgen machen. Als indirekte Folge des „America First“ ziehen sich die USA als Weltmacht zurück und China, aber auch Rußland versuchen diese Lücken zu füllen. Und wiederum als indirekte Folge kommt der Nahe Osten und insbesondere Syrien nicht zur Ruhe. Was das Corona-Virus für die Weltwirtschaft und was der Brexit für die EU bedeutet ist noch nicht abzusehen. Der Freihandel ist jedenfalls eher auf dem Rückzug und für einen vielfachen Exportweltmeister wie Deutschland ist das gefährlich. In Deutschland brummt die Wirtschaft seit der Rezession vor nunmehr 11 Jahren dank des schwachen Euros kontinuierlich. Allerdings ähneln etliche Parameter in der Wirtschaftsforschung inzwischen wieder denen von 2008. Manche Fachleute bezeichnen unsere derzeitige Situation auch als das 3-N-Zeitalter: Niedrigzins, Nullzins, Negativzins. Ein Ende der unkontrollierten Transferströme im Währungsverbund und weiterer Verwerfungen in der Finanzwelt durch die Zinspolitik sind nicht in Sicht. Die Gekniffenen sind die Sparer, aber diese scheinen die zahmste Bevölkerungsgruppe von allen zu sein. Sie erdulden den in der Summe gigantischen finanziellen Aderlass ergeben. Wenn es Europa so geht wie Japan, dann bleiben uns die Niedrigzinsen, aber auch eine stagnierende Wirtschaft noch lange erhalten. Wenn wir schon beim Vergleich mit Japan sind: auch die Demografie ist dort wegen niedriger Einwanderung ein noch größeres Problem als bei uns. Ohne Zuwanderung aus der EU oder auch durch Flüchtlinge hätten wir noch mehr soziale Einrichtungen, die wegen Personalmangel nur reduziert oder gar nicht mehr betrieben werden können. Inzwischen kennen wir das ja von Pflegeheimen, Krankenhäusern oder auch Kindertagesstätten. Eine rationale Einwanderungspolitik ist daher überfällig, aber diese muss in Berlin und nicht in Marbach auf den Weg gebracht werden. Wenn man die im Haushalt dargestellte Bevölkerungsstatistik betrachtet, dann scheint bei uns alles in bester Ordnung zu sein:

Die Zahl der Erwerbstätigen und die der Kleinkinder steigt, die Schüler und die Rentner blieben konstant und nur die Zahl der Arbeitslosen geht zurück. Also eigentlich alles wie man es sich wünscht. Wenn da nicht die Tatsache wäre, dass infolge des Entfalls der traditionellen innerfamiliären Arbeitsteilung immer mehr die Kleinen einen Kita-Platz wünschen und sowieso fast alle einen Kindergarten besuchen. So kommt es, dass Marbach seit Jahren jedes Jahr eine weitere Gruppe eröffnet. In 2020 ist sogar gleich die Eröffnung von 5 zusätzlichen Gruppen vorgesehen, was sich auch deutlich in der Kostenentwicklung niederschlägt. Ob aber auch die Erzieherinnen hierfür gefunden werden können ist noch offen. Denn im letzten halben Jahr gab es bereits ein Novum: Einschränkungen bei den Öffnungszeiten aufgrund nicht mehr überbrückbarer Personalengpässe. An diesem Punkt stößt die staatliche Macht und die Verpflichtung der Kommunen durch die Gesetzgebung von Frau von der Leyen an ihre Grenzen. Wie stark dies unseren Haushalt beansprucht erkennt man am geplanten Anstieg der Personalaufwendungen von 11,7 auf 13,1 Mio€. Dass Marbach diesen Druck besonders deutlich verspürt liegt auch daran, dass die errechnete Steuerkraft 36% unter dem Landesdurchschnitt liegt. Dies führt zwar zu stattlichen Schlüsselzuweisungen wegen „mangelnder Steuerkraft“ in Höhe von 6,8 Mio€. Aber 2,9 Mio€ werden eben nicht ausgeglichen und fehlen demnach im Haushalt. Die Stadt Marbach hat hier insbesondere bei leistungsstarken Gewerbesteuerzahlern einen Nachholbedarf. Einige Schritte in diese Richtung sind ja angedacht und werden von der Verwaltung auch vorangetrieben. An dieser Stelle von unserer Fraktion vielen Dank für die hier investierte Arbeit. Der vorliegende Haushalt ist von großen Investitionsvorhaben dominiert und auf Kante genäht, was man am kurzfristigen Kreditbedarf von 9,5 Mio € und noch deutlicher am langfristigen Kreditbedarf von 48 Mio€ bis Ende 2023 erkennen kann. Das sind dann stattliche 3000 € je Einwohner. Im Vergleich zur Steuerkraftsumme von ca. 1500 € entspricht das dann einer Verschuldung von 200 %. Ich möchte diese Situation einmal in einem Bild verdeutlichen. Man stelle sich einen Weinliebhaber in einem gut sortierten Weinkeller vor. Es gibt reichlich gute Tropfen und die Stimmung ist bestens. Irgendwann kommt aber der Zeitpunkt wo man den Weinkeller wieder verlassen muss, und das wird umso schwieriger je mehr man von dem reichlich frei verfügbaren Wein verkostet hat. Genauso ist es mit dem Schulden machen.

Auch wenn die Zinsen niedrig sind, so kommt die Phase des Abbezahlens und hier können die Raten bei einer schlechten Einnahmesituation erdrückend wirken. Wir sollten daher unsere Projekte strenger als bisher abwägen, damit es langfristig nicht zu einer echten Schieflage kommt. Wir sollten unterscheiden, was die Pflichtaufgaben einer Stadt sind und was zwar wünschenswert ist, aber auch von anderen Wirtschaftsbeteiligten geleistet werden kann. Eine der obersten Pflichtaufgaben ist mittlerweile die Betreuung von Kindern geworden. Auch in 2020 fließen fast 5 Mio€ an Investitionen in diesen Bereich. Von den stark steigenden Kosten in diesem Bereich werden über 80% von der öffentlichen Hand getragen. Trotz Zuschüssen und Familienleistungsausgleich bleibt der größte Teil bei den Kommunen hängen. Dadurch wird der finanzielle Spielraum aller Gemeinden eingeengt, aber bei einer relativ armen Gemeinde wie Marbach verschärft sich dieser Effekt. Eine weitere Aufgabe Pflichtaufgabe sind die Schulen. Diese stehen in Marbach traditionell im Fokus und ihren Erhalt lässt sich die Stadt im Jahr 2020 wieder 6 Mio€ an Investitionen und 2 Mio€ an normalem Unterhaltsaufwand kosten. Dies ist einerseits viel Geld, aber andererseits ist eine rechtzeitige Sanierung von Gebäuden wirtschaftlich. Außerdem gibt es hohe Zuschüsse für diese Maßnahmen. Dass allerdings die auch von uns Freien Wählern befürwortete Sanierung der 3 Toilettenanlagen der Grundschule 600.000 € kosten soll verwundert uns seit diese Zahl im AUT genannt wurde. Unsere Verwaltung plant gerne auf der sicheren Seite, aber wir wollen da hinterher keine goldenen Türklinken vorfinden. Ein weiterer Verantwortungsbereich der Stadt ist alles was mit Bauen zu tun hat. Hier sind in 2020 vor allem die Sanierungsgebiete in Marbach und Rielingshausen zu nennen, welche in Summe ein Investitionsvolumen von fast 6 Mio€ mit sich bringen. Hier geht es um Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum und teilweise auch einfach um den Erhalt von Infrastruktur. Dies ist einerseits keine Pflichtaufgabe der Stadt, aber andererseits gibt es Niemanden sonst, der das in die Hand nehmen könnte. Wir müssen dennoch angesichts der Haushaltslage mit Ideen für kostentreibenden Details vorsichtig umgehen, und gleichzeitig dürfen wir das Ziel nicht aus den Augen verlieren. Außer dem Nebeneffekt, dass die Verwaltung eine Rathauserweiterung bekommt, will die Mehrheit dieses Gemeinderats das wirtschaftliche Leben im Raum der Fußgängerzone erhalten. Damit sich hier nicht der Spruch: „Operation gelungen, Patient tot“ bewahrheitet, halten wir begleitende Maßnahmen für notwendig.

Daher unsere Vorstöße für einen „Kümmerer“ und jetzt noch ergänzend hierzu unser einziger Haushaltsantrag für einen Unterstützungsfonds, damit dieser nicht völlig ohne Mittel dasteht. Ein zweiter wichtiger Aspekt beim Bauen ist die Schaffung von Wohnraum. Weitgehender Konsens besteht in diesem Gemeinderat seit vielen Jahren bezüglich der Nachverdichtung. Da inzwischen aber nicht mehr viele Lücken verblieben sind, ist es hier das Privileg der Stadt, neues Bauland auszuweisen um weiteren Wohnraum zu schaffen. Wir stehen hier dem Ankauf von Flächen durch die Stadt sowie der maßvollen Entwicklung hin zur Baureife positiv gegenüber. Wir sind überzeugt, dass die Gesetze der Mathematik und des Marktes in diesem Thema immer noch gelten: Entweder wir akzeptieren eine Verteuerung von Wohnfläche, was mit der Zeit zu einer Verkleinerung der Wohnungen und der Wohnfläche je Einwohner führt. Oder wir schaffen zusätzlichen Wohnraum, so dass auch die in den letzten 7 Jahren hinzugekommenen 700 Marbacher Einwohner irgendwann auf durchschnittlich über 40 m²/Person leben können – wie der Rest der Deutschen. Wir sehen daher weder die Notwendigkeit noch die Möglichkeit, dass eine klamme Stadt wie Marbach weiter selbst in preiswerten Wohnraum investieren sollte. Denn sowohl private Bauträger als auch Privatpersonen können dies auch auf eigene Rechnung machen. Der Beinahe-Nullzins gilt schließlich für alle. Was wir tun sollten, ist die Voraussetzung hierfür zu schaffen. Auch im Bereich der Nachhaltigkeit versucht die Stadt Marbach voranzukommen. Dies ist zwar keine spezielle Aufgabe der Stadt, und viele Themen können nur in Berlin oder Brüssel sinnvoll angegangen werden. Aber unsere Stadt kann trotzdem in bestimmten Bereichen Anstöße geben und Beiträge leisten. Der seit 20 Jahren erstellte Energiebericht der Stadt weist einerseits beträchtliche Einsparungen von ca. 40 % aus. Aber er zeigte uns auch, wie schwierig es ab einem bestimmten Niveau ist, weitere Einsparungen zu erreichen. Ein anderer Ansatz zu Reduktion des C02-Ausstoßes ist daher der Ausbau einer klimaneutralen Energieerzeugung. Hier soll das Fernwärmeprojekt mit eine Anfangsfinanzierung von 1,7 Mio€ ein Anfang darstellen, der langfristig zu einem stattlichen Wärmenetz anwachsen sollte.

Auch wenn das Klima derzeit in aller Munde ist, halten wir es für hilfreich, wenn Marbach sich auf die Aspekte beschränkt, wo eine Stadt etwas ausrichten kann. Hierzu haben wir im Oktober beantragt, dass der Verkehrsbeirat wieder aktiviert wird und dort überlegt wird, wie Marbach sich auf neue Formen der Mobilität einstellen könnte. Digitalisierung wird immer wichtiger. Dies haben wir zum einen mit unserem Antrag zu Entwicklung einer Marbach-App vom April 2019 zum Ausdruck gebracht. Zum andern freuten wir uns aber auch, als wir im Haushalt die mittelfristig vorgesehenen Investitionen von 2,2 Mio€ in ein Breitband Netz vorfanden. Dies ist zwar einerseits auch keine originäre Aufgabe einer Stadt. Aber wenn es aufgrund der Marktmechanismen in diesem Bereich auf anderem Wege nur schleppend vorankommt, so ist es sehr zum Wohle unserer Bürger und Firmen, wenn die Stadt hier in die Bresche springt. Erwähnt werden sollen auch noch die insgesamt 10,7 Mio€ Investitionszuwendungen in 2020, welche Investitionen von 29,3 Mio€ und Verpflichtungsermächtigungen für die Folgejahre von 20 Mio€ gegenüberstehen. Noch deutlicher zeigt sich im 5-Jahreszeitraum von 2019 bis 2023, dass wir die vorgesehenen Gesamtinvestitionen von 105 Mio€ ohne das Fördervolumen von 40,8 Mio€ nicht stemmen könnten. Herzlichen Dank an die Verwaltung, dass sie diese Töpfe regelmäßig erfolgreich anzapft. Seit 2018 wird mit stetig steigender Neuverschuldung geplant, und bis 2023 sollen die Schulden auf 3.000 € je Kopf anwachsen. Die Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler liegt aktuell bei 23.227 €/Kopf für die Staatsverschuldung von Bund, Ländern und Kommunen zusammen und damit um 35 € niedriger als im Vorjahr. Da müssen sich Berlin und Stuttgart schon die Frage gefallen lassen, ob da nicht was falsch läuft. Wie schon im Vorjahr entspricht der vorliegende Haushalt nicht mehr dem vertrauten Kommentar unseres Herrn Heim, nämlich „auf Sicht fahren“. Marbach haut was Investitionen angeht wie im Vorjahr auf die Pauke. Noch lassen sich die Freien Wähler aus den ausgeführten Gründen auf diesen Weg ein und werden dem Haushalt 2020 zustimmen. Aber je nach Entwicklung der Einnahmenseite behalten wir uns die Verschiebung oder auch Streichung von Nicht-Pflichtaufgaben aus der mittelfristigen Planung vor.

Dr. Martin Mistele, Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler Marbach am Neckar

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