Freie Wähler Besichtigen die Schleuse Marbach

Kulturlandschaft Neckar mit Ausbaupotenzial

 

Wer stand nicht als kleines Kind schon einmal ungläubig staunend an einer Schleuse und beobachtete, wie sich ein langes, mit Kies oder Schrott beladenes Frachtschiff gemächlich einer Schleuse näherte, elegant in die Schleusenkammer einfädelte, wie sich die massiven Stahltore hinter dem Bug des Schiffes schlossen und das Schiff Meter um Meter in der Tiefe versank, um dann nach Öffnen des in Fahrtrichtung gelegenen Tores wieder befreit Fahrt aufzunehmen? Welche grandiose Ingenieursleistung unserer Vorväter hinter diesem Vorgang steckt, erfuhren die Freien Wähler Marbach bei einer hochinteressanten Führung durch das Areal der Marbacher Schleuse.

Walter Braun, Chef des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamtes (WSA) Neckar und Reiner Orth, Bauingenieur und seit 32 Jahren verantwortlicher Leiter des Außenbezirks Marbach, nahmen sich Zeit, um den 20 wissbegierigen Freien Wählern,aufgeteilt in zwei Gruppen, eindrückliche Zahlen und Fakten rund um unseren Neckar zu vermitteln. „Schon die alten Römer haben den Wasserlauf des Neckars von Cannstatt flussabwärts genützt, um ihre Standlager mit Lebensmitteln, Wein und Proviant zu versorgen“, berichtete Reiner Orth. 1922 wurde im Neckar-Donau-Vertrag der Ausbau des Neckars zur Bundeswasserstraße beschlossen. Sogleich begann man mit dem Bau von Staustufen (Wehre, Kraftwerke und Schleusen) und zwar parallel sowohl im Unter- als auch im Oberlauf des Neckars. Von der Mündung in den Rhein bei Mannheim bis zum Hafen Plochingen wurde der Neckar auf 203 km Länge zur Schifffahrtsstraße ausgebaut. Auf diesem Abschnitt wurden insgesamt 27 Staustufen realisiert, die auch heute noch dafür sorgen, dass der Wasserabfluss reguliert wird und ganzjährig eine Mindestfahrrinnentiefe von derzeit 2.80 m garantiert werden kann. „Die Frachter legen auf dieser Strecke eine Gesamthöhendifferenz von 160 m zurück, was der Höhe des Ulmer Münsters entspricht“, beschrieb Orth vergleichend. Die Fahrrinnenbreite auf dem Neckar beträgt 36 m, also Platz genug für eine Begegnung zweier Schiffe (mit einer Breite von bis zu 12 m).

Die ersten Staustufenbauwerke insbesondere im Raum Heidelberg wurden damals in Zusammenarbeit mit dem bekannten Architekten Paul Bonatz (Planer des Hauptbahnhofes Stuttgart) entwickelt. Sein Credo: Die Staustufenanlagen sollten sich harmonisch in die Natur- und Kulturlandschaft einfügen. Dieser Leitgedanke wurde auch von den nachfolgenden Planern weitergetragen. „Die seit 1958 in Betrieb befindliche Schleusenanlage in Marbach besteht aus zwei miteinander in Verbindung stehenden Kammern, die mit sogenannten Hubdrehtoren am unteren Ende versehen wurden“, erzählte Reiner Orth weiter. Diese nähmen auch im geöffneten Zustand nur wenig Raum über der Wasseroberfläche in Anspruch und störten so das schöne Landschaftsbild nur geringfügig.
Die zur Marbacher Schleuse gehörige Wehranlage (1939 bis 46 gebaut)und das Kraftwerk befinden sich etwa 1,5 km entfernt im Oberlauf des Neckars auf Höhe des Industrieparks.

Leider nage der Zahn der Zeit an der 60 Jahre alten Bausubstanz unserer Schleuse. Umfassende Instandsetzungsarbeiten seien vonnöten, warnte Orth. Im Zuge dieser Sanierungs- und Ausbaumaßnahmen werde die Marbacher Schleuse mit ihrer ursprünglichen Abmessung von 110 m Länge auf 140 m verlängert, so dass in ihr Güterschiffe bis zu 135 m Länge Platz finden werden. Der 2016 beschlossene Bundesverkehrswegeplan sieht vor, bis etwa 2050 alle Schleusen von Mannheim bis Plochingen auf 140 m Länge auszubauen. Pro Frachtschiff könne dann in Zukunft 30% mehr Ladung transportiert werden. Schon jetzt sei es so, dass ein einziges Güterschiff mit einem Transportvolumen von 1500 Tonnen 50 LKW á 30 Tonnen Zuladung ersetzen könne. Das entspreche einem 2,5 km langen Autokorso, unterstrich Orth. Grund genug, um in Zeiten zunehmender Verkehrsbelastung, einen Ausbau der Schifffahrtswege zu fördern.

 

 

In der Kommandozentrale angelangt, die über der Schleuse thront, traf die Gruppe von Freien Wählern auf den Betriebsstellenleiter Uwe Harig, der zufällig just in dem Moment ganz praktisch demonstrieren konnte, wie das Ein- und Ausschleusen eines Schiffes vor sich geht. Insgesamt benötige ein Schiff von der Ein- bis zur Ausfahrt etwa 15 bis 20 Minuten. Das Schleusen alleine dauere zwischen 8 und 10 Minuten. Das Heben und Senken der Schiffe erfolge nur durch den Ausgleich der Wasserhöhen vor und nach der Schleuse bzw. zwischen den zwei Schleusenkammern. Einzig der Betrieb der Elektromotoren für die Pumpen der hydraulischen Antriebe der Hub- bzw Hubdrehtore verbrauche ein wenig Strom.

Vier bis fünf Mitarbeiter arbeiten an der Marbacher Schleuse im 2-Schichtbetrieb und sorgen zum einen für einen reibungslosen Ablauf und eine zügige Durchfahrt der Frachtschiffe sowie der Sportboote und zum anderen für die Steuerung des zugehörigen Kraftwerks. Auf Anmeldung der Schiffe an den Schleusen werden diese auch nachts geschleust, so dass der Neckar 24h befahrbar ist.

Herr Walter Braun rundete diese spektakuläre Führung ab, indem er die Freien Wähler auf kommunalpolitisch interessante Gegebenheiten rund um den Neckar aufmerksam machte. Besonderes Interesse galt der aktuellen Bewerbungsplanung für die Landesgartenschau 2033. Der Stand der Planungen für die neue Lage der „langen Schleusenkammer“ sei aktuell noch so offen, dass Herr Braun leider keine Angaben machen konnte, die den Planern der Gartenschau im unmittelbaren Umfeld der Schleuse freie Flächen für einen neuen Bachlauf entlang der Schleusenkammer oder eine neue Brücke über die Schleusenanlage auf die Insel zuweisen könnte.

Durch das Bundeswasserstraßenausbaugesetz (von Ende 2016) ist die Schleusenverlängerung Neckar gesetzlich als Planungsauftrag und vorrangige Maßnahme gesetzt. „Die Maßnahme Schleusenplanung wird durch den Bauwerkszustand dringlich bearbeitet und hat aktuell bis zum Jahr 2033 einen deutlichen zeitlichen Puffer von einer gesamten Bauzeit Schleusenverlängerung“, führte Walter Braun weiter aus. Nach Fertigstellung der Baumaßnahme Schleusenverlängerung wird es zwischen dem heutigen Weg und der Schleusenkammer eine Freifläche und wieder eine „Zuwegungsbrücke“ auf die Insel geben

Herr Braun hob nochmals die bereits heute bestehende wirtschaftliche Bedeutung der Wasserstraße für die Metropolregion Stuttgart hervor. „Insbesondere die Containerfrachten stellen neben den weiteren Massengütern eine unmittelbare Verbindung zu den globalen Wirtschaftsräumen über die Seehäfen Rotterdam, Antwerpen und Amsterdam her.“ Das Hafenterminal Stuttgart sei voll ausgelastet. Stuttgart, aber auch der weitere Hafen Plochingen am Beginn der Wasserstraße in Plochingen benötigten mehr Transportkapazitäten. Dafür böten sich die Wasserstraßen an, die noch erhebliches Ausbaupotenzial hätten.

 

Birgit Scheurer

 

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